Diesem Beitrag möchte ich vorausschicken, dass ich darin meine höchstpersönliche Sichtweise sehr pointiert darstelle. Mit größter Wahrscheinlichkeit wird diese Betrachtungsweise nicht auf gänzliche Zustimmung stoßen. Meine Absicht ist es, einen sinnvollen Gedankenprozess damit auszulösen, der auch geänderte Handlungsweisen zur Folge hat.

Meine Wahrnehmung zur Arbeitswelt in der Steuerberatung

Die von vielen Inhabern und Partnern wahrgenommene Schwierigkeit passende Mitarbeiter zu finden, löst viele Folgen aus. Ich nehme ein Überbietenwollen, einen Wettstreit im Anbieten von „goodies“ bzw. fringe benefits für Mitarbeiter wahr. Gesundes Essen in der Kanzlei, Obst in den Pausen, höhenverstellbare Schreibtische, Massageangebote, Yogakurse, Kickertisch, Mitarbeiter-Events, Betriebsausflüge, etc. etc.

Daneben ist auch Home Office, remote work, totale Flexibilisierung der Arbeitszeiten und workation fast überall anzutreffen. 

Ich möchte betonen, dass Benefits, Flexibilisierung, etc. grundsätzlich gute Maßnahmen sind. Ich betone auch immer wieder, dass Mitarbeiterorientierung wichtig und notwendig ist. Allerdings, in welchem Ausmaß?

In Führungsworkshops stelle ich immer wieder fest, dass kein vernünftiger Ausgleich zwischen Fordern und Fördern in der Mitarbeiterführung betrieben wird. Führungskräfte entwickeln sich zu extremen Überförderern und trauen sich – aus Angst, der Mitarbeiter würde kündigen – gar nicht mehr, solide und klar zu fordern. Es hat den Anschein, als müssen Mitarbeiter richtig „gepampert“ werden, um Leistung zu erbringen. Man könnte fast sagen, es ist so, als würde man „Hunde zum Jagen tragen“. 

Mögliche Folgen?

Ich stelle mir in diesem Zusammenhang mehrere Fragen. Auf die meisten dieser Fragen habe ich auch gar keine konkrete, valide Antwort. Es sind Fragen wie:

Ich bin kein Verfechter der sogenannten „Work-Life-Balance“. Diese impliziert ja, dass das Eine (Work) negativ wäre und das Andere (Life) positiv ist. Und man so weit wie möglich in Balance der beiden Elemente leben sollte. Ich denke, dass echte Leistung nur möglich ist, wenn man – jeweils für eine gewisse Zeit – Schwerpunkte setzt. Sei es einen Schwerpunkt im beruflichen Lebensbereich oder eben in der Familie. Die Steuerberaterprüfung ist beispielsweise nicht mittels einer Work-Life-Balance in der Vorbereitung zu schaffen. Mit der Familiengründung wird man – wenn einem die Kinder wichtig sind – Abstriche im beruflichen Leben machen (müssen).

Wir alle haben nur ein Leben. Es geht also darum, regelmäßig Schwerpunkte zu setzen, damit das Leben insgesamt stimmig ist. Verschwimmen alle Grenzen des Handelns, wie können dann Schwerpunkte gesetzt werden?

Die neue schöne Arbeitswelt löst – wie Sie sehen – bei mir viele Fragen aus. Die Antworten darauf sind für mich offen.

Altmodische Spaßbremse?

Auf der Suche nach Antworten komme ich mir wie eine altmodische Spaßbremse vor. Meine Überlegungen drehen sich in folgende Richtung:

Und dabei kommen Begriffe bzw. Wertehaltungen ins Spiel, die ganz und gar nicht dem Zeitgeist und der – von mir wahrgenommenen – Realität entsprechen. Das sind:

Pflicht: Menschen tun dauerhaft etwas, weil sie sich verpflichtet haben und sich verpflichtet fühlen. Sei es eben durch den Arbeitsvertrag oder der Verpflichtung, den Kredit für die angeschaffte Immobilie bedienen zu können. Allerdings auch aus Verpflichtung des Menschseins an und für sich. Nämlich die Verpflichtung, Klienten bei ihren Zielen zu unterstützen. Oder sich zur Hilfe von Kollegen verantwortlich zu fühlen. Eben weil man menschlich handeln möchte.

Wille und Disziplin: In dem Sinne, etwas zu wollen, weil man weiß, dass es wichtig ist. Wichtig für sich selbst, wichtig für die Firma, wichtig für die Klienten. Für jene Dinge, die einem wirklich wichtig sind, bringt man dann auch die notwendige Disziplin leichter auf.

Zweck: Das bedeutet, sich immer wieder vor Augen zu führen, warum gehandelt wird, was man durch sein Handeln erreicht. In der Steuerberatung ist der Kern dieses Zwecks, Klienten bei deren Zielerreichung aus steuerlicher, rechtlicher, wirtschaftlicher Sicht zu helfen.

Was tun?

Behalten Sie die Incentivierung von Arbeit bei. Schaffen Sie bereits bestehende fringe benefits nicht ab. Tun Sie weiterhin alles sinnvoll Mögliche, den Arbeitsplatz möglichst attraktiv zu gestalten. Ergänzen Sie allerdings diese Maßnahmen. Berücksichtigen Sie dabei die folgenden Überlegungen:

Der stärkste Motivator für Kopfarbeiter ist Arbeitsfortschritt. Die Führung hat den Auftrag, Rahmenbedingungen herzustellen, dass das Team Ergebnisse erzielen kann.

Das bedeutet:

Trotz, oder vielleicht sogar wegen, der Ausdehnung von remote work ist es enorm wichtig, dass Mitarbeiter als Menschen wahrgenommen werden. Führung gelingt nur dann, wenn Führungskräfte wirklich an den Leuten interessiert sind, die sie führen.

Der Antrieb für das Handeln sollte aus dem Nutzen der Tätigkeit kreiert werden. Der Mehrwert für den Klienten sollte immer wieder bewusst gemacht werden. Das oberste Ziel der Kanzlei ist ja, hochzufriedene Klienten zu schaffen. Das bedeutet, gleichzeitig zu allen Anstrengungen für Mitarbeiter attraktiv zu sein, den Klienten nicht aus dem Fokus zu verlieren. Ein positives Feedback zur geleisteten Arbeit schafft für fast jeden eine Extra-Portion an Motivation. 

Der Sinn der Arbeit muss immer wieder herausgearbeitet werden. Nach Viktor Frankl kann Sinn von niemandem gegeben werden, sondern man muss ihn selbst suchen. Hier ist die Führung gefragt. Nämlich dem Team bei der Sinnsuche zu helfen. Menschen finden Sinn durch das Erfüllen von Aufgaben und durch das Erbringen von Leistung. Viktor Frankl sagt allerdings auch, dass es möglich ist, Menschen den Sinn zu nehmen. Das geschieht besonders durch schlechtes Management.

Diese althergebrachte, traditionelle Sichtweise zu einer wirksamen Arbeitswelt ist – so meine feste Überzeugung – dauerhaft. Sie ist möglichweise nicht so cool, lässig, sexy. Allerdings, sie nützt sich nicht ab. Sie braucht auch keine kontinuierliche Erhöhung der Dosis. 

Ich bin gespannt auf Ihre Meinung!