Die Verkürzung der Normalarbeitszeit ist derzeit ein großes Thema in der Steuerberaterbranche, genauso wie in vielen anderen Wirtschaftszweigen. Eine fundierte Auseinandersetzung sollte Inhabern und Partnern eine Orientierung dazu geben.
Vorweg möchte ich in diesem Zusammenhang aus meinem Leben als Inhaber/Partner einer Steuerberatungskanzlei berichten: Bereits Ende der 90-er Jahre des vorigen Jahrhunderts habe ich mich in der eigenen Kanzlei entschieden, die Normalarbeitszeit freiwillig – bei gleichen Gehältern – von 40 auf 38 Stunden zu reduzieren. Damit konnte das gesamte Team ein etwas längeres Wochenende (freier Nachmittag am Freitag) genießen. Sonstige Gehaltsanpassungen, sei es aus Leistungsgründen oder als Inflationsausgleich, fanden zusätzlich statt. Übrigens … wir konnten die anfallende Arbeit auch mit 38 Stunden bewältigen. Und ich denke nicht, dass wir vorher unproduktiv gearbeitet haben. Im Gegenteil, die Kanzlei war immer von effektivem und effizientem Arbeiten geprägt.
Grundlagen
Zu Beginn der Beschäftigung mit dem Thema sollte auseinandergehalten werden, ob die „4 Tage Woche“ angesprochen ist oder ob es um eine generelle Verkürzung der Normalarbeitszeit, bspw. auf 36 Stunden, geht. In einigen Wirtschaftszweigen, z.B. dem Handwerk, wird die 4-Tage-Woche in einzelnen Unternehmen bereits praktiziert. Allerdings dort meist mit einer Normalarbeitszeit von 40 Stunden.
Meine Beobachtung ist, dass in der Steuerberatungsbranche derzeit so gut wie jedes Arbeitszeit-Modell möglich ist. Außerdem sind Home-Office-Optionen weitestgehend vorhanden; flexible Arbeitszeiten sind gang und gäbe; lediglich gewisse Kernarbeitszeiten sind die einzig vorhandene Einschränkung einer enorm hohen bestehenden Flexibilität in Bezug auf die Arbeitszeiten.
Wer in der Steuerberatung weniger Zeit arbeiten möchte, kann das jetzt schon tun. Auch wenn 40 Wochenstunden die Normalarbeitszeit sind.
So What? Warum existiert also die Diskussion um eine Verkürzung der Arbeitszeit in der Branche?
Drei mögliche Gründe für den Wunsch nach einer Arbeitszeitverkürzung
- Arbeitszeitverkürzung als Gehaltserhöhung
Ein erster Ansatz für die Reduktion der Normalarbeitszeit ist, dass damit eine Gehaltserhöhung erfolgen sollte. Beispielsweise bei einer Reduktion auf 36 Wochenstunden, bzw. aliquot bei Teilzeitmitarbeitern, entspricht das einer Gehaltserhöhung von 10 %. Ich stelle mir dabei die Frage, warum es bei diesem Anlass nicht besser wäre, die Gehälter bei unveränderter Normalarbeitszeit einfach zu erhöhen. Jeder Mitarbeiter kann sich dann wieder selbst entscheiden, wie viel er – bei einem höheren Gehalt – arbeiten möchte.
Meine Einschätzung ist, dass sich die Gehälter in den letzten Jahren in der Branche verbessert haben, allerdings immer noch nicht ausreichend gut bezahlt wird. Mehr dazu im Beitrag Der Kern erfolgreicher Mitarbeitergewinnung
- Arbeitszeitverkürzung als Anreiz produktiver zu arbeiten
Hier ist der Ausgangspunkt, dass durch noch produktiveres Arbeiten die Voraussetzungen gegeben wären, die vorhandene Arbeit auch mit einer verkürzten Normalarbeitszeit erledigen zu können. Ich sehe diesen Ansatz problematisch, weil
- die Unterstellung mitschwingt, das Team würde bisher nicht ausreichend produktiv arbeiten.
- ein hohes Maß an Produktivität unternehmerisch generell erforderlich ist. Unabhängig von der wöchentlichen Normalarbeitszeit.
Dass es in den Steuerberatungskanzleien große Produktivitätspotenziale gibt, habe ich umfassend in vielen Beiträgen bereits beschrieben, wie beispielsweise in Produktivität - Irrtümer und Missverständnisse und Kapazitäten schaffen mit allen dort weiterführenden Verweisen.
Es ist zentrale Aufgabe der Kanzleiführung für produktives/effektives Arbeiten des Teams zu sorgen. Arbeitsfortschritt ist der größte Motivator für Kopfarbeiter. Jeder in der Kanzlei, unabhängig von seiner Arbeitszeit, sollte dauernd und konsequent an seiner Effektivität arbeiten und versuchen, sich im effektiven Arbeiten weiterzuentwickeln. Egal ob 20, 30 oder 40 Stunden gearbeitet werden. Führungskräfte müssen, wenn sie ihre Aufgabe ernst nehmen, alles ihnen Mögliche unternehmen, effektives/produktives Arbeiten zu ermöglichen.
Ich sehe die Arbeitszeitverkürzung als Anreiz für Produktivitätssteigerungen äußerst kritisch, da damit gewissermaßen die zentrale Führungsaufgabe an das Ausmaß der Normalarbeitszeit „delegiert“ wird.
Als besonders gefährlich sehe ich es, wenn die Verringerung der Normalarbeitszeit an die Bedingung der Produktivitätssteigerung geknüpft wird. Werden – hoffentlich – Verbesserungen erzielt, in dem dem Team die Karotte vor die Nase gehängt wird, dann ist der Beweis erbracht, dass das Team vorher unproduktiv gearbeitet hat. Das bestätigt wiederum, dass die Führung vorher ihre Aufgaben nicht effektiv wahrgenommen hat. Außerdem besteht dabei auch die fast unlösbare Aufgabe, Produktivitätsverbesserungen tatsächlich objektiv messbar zu machen.
- Arbeitszeitverkürzung, weil die Gen Z nicht mehr 40 Stunden arbeiten möchte
Die „Generations-Fragen“ haben die Branche, genauso wie die gesamte Gesellschaft, voll erfasst. Meine persönlichen grundlegenden Gedanken dazu sind:
- Generation X, Y und Z wurde schon vor einigen Jahren in den USA extrem umfassend bearbeitet. Mit etwas Verzögerung ist das Thema auch in Mitteleuropa angekommen.
- Es besteht ein beträchtlicher Unterschied zwischen großstädtischer und ländlicher Ausprägung.
- Social Media verstärkt bestimmte vorhandene Themen, die in der Realität gar nicht derartig ausgeprägt sind. Das kann ich feststellen, wenn ich mit den jungen Leuten aus den genannten Generationen ins Gespräch gehe, gute Fragen stelle und dann gut zuhöre.
- Es besteht auch die Meinung, durch eine verkürzte Normalarbeitszeit attraktiver für Bewerber zu sein.
In der aktuellen gesellschaftlichen Diskussion ist unzweifelhaft herauszuhören, dass ein Drang/Wunsch der Generation Z besteht, nicht im „alten“ Model bleiben zu wollen, nicht 40 Stunden arbeiten zu wollen. Ich möchte nicht in Themen wie „Und wie soll sich die Pension ausgehen?“, „Wer sollte dann noch die Arbeit erledigen?“, „Was machen die jungen Leute dann mit ihrer Freizeit?“ etc. etc. einsteigen. Ich versuche den Blick auf das einzelne Unternehmen und die Folgen für die Mitarbeiterführung und -entwicklung zu lenken. Dazu einige Gedanken:
- Führungskräfte sollten extrem zurückhaltend und vorsichtig sein, wenn es um Zuschreibungen zu gewissen Menschenbildern bzw. Menschengruppen geht. Führung ist immer individuell auf die einzelne Person wirksam. Gesellschaftliche Menschenbilder (wie z.B. auch „Migrationshintergrund“, „Alter“, „Aussehen“ etc.) haben in wirksamer Mitarbeiterführung nichts verloren. Der einzelne Mensch mit seinen Stärken steht im Vordergrund. Mit „die sind halt so“ verbaue ich mir als Führungskraft viele möglichen Chancen. Es gibt tatsächlich junge Menschen, die leistungsorientiert sind, die gerne auch länger arbeiten wollen.
- In den Kanzleien sind – wie oben schon erwähnt – flexible Arbeitszeiten möglich. Die Branche hat den enormen Vorteil, jenen Menschen, die nicht 40 Stunden arbeiten wollen, so gut wie alle Möglichkeiten anbieten zu können. Außerdem bietet der Beruf große Potenziale für Remote-Work (um im Sprachgebrauch der Zielgruppe zu bleiben). Mehr dazu in Die hybride Steuerberatungskanzlei. Insofern ist die Branche prädestiniert für die GenZ. Es liegt in der Natur der Sache, dass es Einschränkungen beim Remote-Work gibt. Neben den allgemeinen Regeln zum Home Office sind diese: Ausbildung ist so gut wie unmöglich und der einzelne Mitarbeiter muss die Voraussetzung mitbringen, sich selbst gut organisieren zu können.
- Flexibilität ist keine Einbahnstraße. Jenes Maß an Flexibilität in Bezug auf die Gestaltung der Arbeitszeit, das Mitarbeitern ermöglicht wird, sollte auch für die Anforderungen der Kanzlei gelten. Das heißt z.B., dass bei der Notwendigkeit der Teilnahme an einer Klientenbesprechung beim Mitarbeiter ein hohes Maß an Flexibilität vorhanden sein sollte. Diese Anforderung sollte gegenüber dem Team glasklar formuliert werden.
- Ist es nicht Aufgabe der Führung alles dafür zu tun, dass Menschen gerne arbeiten? Können wir nicht das Streben nach Work-Life-Balance verändern, in dem wir uns bewusst machen, dass wir nur EIN Leben haben? Im Konzept der Work-Life-Balance schwingt ja mit, das Eine (Work) wäre negativ und das Andere (Life) wäre positiv. Ich denke, es ist deutlich zielführender in regelmäßigen Abständen sein gesamtes Leben zu betrachten. Und dabei wird es immer wieder unterschiedliche von der Lebenssituation abhängige Schwerpunkte geben. Eben Lebensphasen, in denen das Eine wichtiger und das Andere weniger wichtig ist. Hier kann und sollte durch flexible Arbeitszeitmodelle immer wieder darauf reagiert werden. Die schon beschriebene vorhandene Flexibilisierung der Arbeitszeiten in der Branche ist dafür eine ideale Lösung.
Junge Menschen, die für sich entschieden haben, nicht die bisherige Normalarbeitszeit arbeiten zu wollen, sollten das tun können. Unzweifelhaft! Alle Möglichkeiten sind dafür schon vorhanden.
Notwendige Regeln des Zusammenarbeitens und gegenseitige Flexibilität sind allerdings Grundpfeiler, die das einzelne Unternehmen nie aufgeben sollte.
Weitere Gedanken
Die folgenden Überlegungen können Ihnen für Ihre Orientierung auch hilfreich sein:
- Eine generelle Arbeitszeitverkürzung bei steigendem Anteil an Home-Office-Zeiten führt zu einer eklatanten Verringerung der Anwesenheitszeiten der Mitarbeiter. Nachdem eine der größten Herausforderungen in Steuerberatungskanzleien die interne Kommunikation ist, sind hier große Anstrengungen notwendig. Mehr dazu Home-Office bereitet Kopfzerbrechen
- Corona hat in der Branche u.a. auch dazu geführt, dass Bürozeiten für Klientenbesuche und Klientenanrufe eingeschränkt wurden. Das hatte natürlich auch den positiven Effekt, dass Mitarbeiter in diesen Zeiten ungestörter arbeiten konnten. Allerdings, Steuerberatung ist immer noch eine Dienstleistung. Wer sich darüber beklagt, dass die aufkommenden Online-Dienste eine Gefahr für Dienstleistungsunternehmen sind, sollte kritisch überlegen, wie sich eine weitere Verringerung der Erreichbarkeit auswirkt. Natürlich sind die technischen Möglichkeiten der Kontaktaufnahme für Klienten vielfältig. Allerdings ist auch der Wunsch vieler Klienten sehr groß, sein Anliegen persönlich adressieren zu können und das Gefühl zu haben, dass das Anliegen auch verstanden wurde.
- Mit technischen Mitteln ist inzwischen auch die Organisation von Anwesenheit, Abwesenheit und Erreichbarkeit der Mitarbeiter gut zu lösen. Allerdings sind das neue und zusätzliche Herausforderungen für die Organisation der Kanzlei.
- Die Kosten der Ausbildung erhöhen sich, wenn die Normalarbeitszeit reduziert wird. Dieses Problem besteht natürlich derzeit auch schon bei allen Teilzeitmitarbeitern.
Resümee
Ich hoffe, dass Ihnen diese Überlegungen eine Orientierung für Ihre Entscheidungen geliefert haben. Mein höchstpersönlicher Zugang zur Verringerung der Normalarbeitszeit ist, natürlich geprägt von den eigenen Erfahrungen, der Folgende:
Wenn Sie derzeit tatsächlich eine Verringerung der Normalarbeitszeit planen, machen Sie dies einfach deswegen, weil Sie es für Ihr Team haben möchten. Ohne Anreize der Produktivitätssteigerung, nicht als Gehaltserhöhung, sondern weil Sie daran glauben, Ihrem Team, Ihrer Firma, Ihnen selbst damit etwas Gutes zu tun. Geben Sie diesen großen Vertrauensvorschuss. Ja, es kann sein, dass Sie kurzfristig die eine oder andere kleine Enttäuschung erleben werden. Langfristig und im Gesamten betrachtet wird es auf diese Art und Weise allerdings das für Ihre Kanzlei Richtige sein.