Stefan Lami: Gerhard, welche Entwicklungen siehst Du im Berufsstand?

Gerhard Stangl: Aus der Erfahrung in der Akademie der Wirtschaftstreuhänder - wir betreuen jährlich ca. 75.000 Teilnehmer in der Aus- und Fortbildung - sowie aus vielen persönlichen Gesprächen mit Steuerberatern sehe ich vor allem, dass Steuerberater verstärkt Partnerschaften suchen. Der junge Steuerberater sieht seine berufliche Karriere nicht mehr als Einzelkämpfer.

Weiters ist feststellbar, dass Steuerberater nach mehr Befriedigung im Job suchen. Die rasante Zunahme der Gesetzesnovellen und der höhere Konkurrenzdruck sorgen für mehr Frustration. Daher suchen Steuerberater nach Beratungsfeldern mit weniger Frustrationspotenzial, wie z.B. Coaching.

Wir erkennen auch, dass die Ausbildung zum Steuerberater in einigen Fällen fast wie ein Post-Graduate-Studium gesehen wird. Uni-Absolventen machen die Ausbildung zum Steuerberater, um dann in grösseren Unternehmen zu arbeiten.

Und schlussendlich merken wir auch die allgemein schlechtere wirtschaftliche Situation. Aus- und Fortbildungskosten sind ein Kostenfaktor, und auch dort wird gespart. Aus der Sicht der Akademie ist diese Entwicklung allerdings "positiv". Nämlich insofern, als dass unsere Kurse - die generell unter dem Preisniveau der Mitbewerber liegen - vermehrt in Anspruch genommen werden.


Stefan Lami: Kein Steuerberater-Kollege wird heute der Aussage, dass Aus- und Fortbildung ein zentraler Erfolgsfaktor sei, widersprechen (auch wenn sich nicht alle dementsprechend verhalten). Wie kann sich der Steuerberater durch zielgerichtete Aus- und Fortbildung für den stärkeren Konkurrenzkampf rüsten?

Gerhard Stangl: Es sind vor allem vier Bereiche, mit denen sich jeder Steuerberater auseinandersetzen sollte:

1. Fachwissen erwerben,
2. Werkzeuge beherrschen,
3. Sozialkompetenz professionalisieren und
4. Schwerpunkte für Spezialkompetenz setzen.

Das Fachwissen ist die Basis. Hier braucht jeder Steuerberater ein tiefes Wissen in allen für den Steuerberater relevanten Rechtsgebieten sowie im Rechnungswesen und in der Betriebswirtschaftslehre. Ein solide Ausbildung und laufende Fortbildung sind die Grundlage des Berufes.

Mit "Werkzeuge beherrschen" meine ich vor allem, dass der Steuerberater auch eine gewisse IT-Kompetenz braucht. Selbst wenn er sie als Kanzleiinhaber nicht selbst beherrscht, so braucht er die entsprechenden Mitarbeiter, die diese effizient einsetzen.

Dabei denke ich an die Prozesse der Informationsgewinnung, der Verarbeitung und Aufbereitung der Daten, an die Möglichkeiten des Datentransfers, dem Nutzen von e-mail und Internet/Intranet. Es ist ein sehr weites Spektrum, das bis hin zum computerunterstützten Wissensmanagement reicht. Die Beherrschung der Werkzeuge soll helfen, Zeit und Kosten möglichst effizient einzusetzen. Der professionelle Umgang mit den neuesten Technologien ist ein zentraler Erfolgsfaktor.

Die Professionalisierung der sogenannten sozialen Kompetenzen ist - aus meiner Sicht - der "haarigste" Punkt, wenn man das so sagen darf. Damit meine ich Themen wie Gesprächsführung, Bedarfserkennung, Verhandlungsführung, Fragetechniken u.s.w. Hier ist noch vieles verbesserungswürdig, wobei in der letzten Zeit im Berufsstand in dieser Hinsicht schon sehr viel geschehen ist.

Der vierte Punkt "Schwerpunkte für Spezialkompetenz setzen" liegt mir sehr am Herzen. Es geht dabei darum, dass die Steuerberatungskanzlei durch Spezialkompetenz ein Profil gewinnt und sich dadurch von anderen Kanzleien unterscheiden kann. Die von der Akademie angebotenen Fachlehrgänge (Finanzstrafrecht, Mediation, Tourismus, Coaching und andere) sollen eine Möglichkeit sein, diese Spezialkompetenz zu erwerben.


Stefan Lami: Viele Steuerberater scheuen noch etwas vor einer Spezialisierung zurück. Wie stehst Du zu dieser Haltung?

Gerhard Stangl: Das ist ein Punkt, der mich immer wieder staunen lässt. Ich erfahre immer wieder von Teilnehmern der Fachlehrgänge, dass es nahezu "magisch" ist, was in der Kanzlei nach dem Besuch eines Fachlehrgangs passiert. Sie erhalten einfach mehr Aufträge in diesem Bereich. Liegt es an der selektiven Wahrnehmung, also dass man einen Blick für die Probleme erhält, oder daran, dass die Teilnehmer anders an Probleme herangehen. Ganz ehrlich gesagt, ich weiss es nicht. Jedenfalls sieht es so aus, als würden sich die passenden Aufträge automatisch ergeben.


Stefan Lami: Du hast es vorhin schon angesprochen: Aus- und Fortbildung ist ein Kostenfaktor. Welche Vorschläge hast Du, um aus der investierten Zeit und dem investierten Geld möglichst viel herauszuholen?

Gerhard Stangl: Um ein bisschen Eigenwerbung zu machen: Alleine der Besuch der Kurse der Akademie ist schon der erste Schritt, um aus dem investierten Geld mehr herauszuholen, da wir kostengünstiger sind als die Konkurrenz.

Der nächste Schritt, um Aus- und Fortbildung effizienter zu machen, ist, bei der Auswahl schon die richtige Entscheidung zu treffen. Sich beraten zu lassen, in dem man beim Veranstalter nach Details des Inhalts fragt.

Jeder Seminarbesuch ist ein Teil des Wissensmanagements der Kanzlei. Wie gelangen die Erkenntnisse des Seminars in die "Wissensdatenbank" der Kanzlei. Damit meine ich nicht, dass jede Kanzlei eine echte elektronische Wissensdatenbank braucht. Bei ca. 7 Millionen Kopien, die wir jährlich produzieren, stellt sich die Frage, wie diese Informationen in den Kanzleien "abrufbar" sind, und wie die Inhalte in die Köpfe der Mitarbeiter gelangen.

Im Bereich der Ausbildung ist ein duales System - Abwechslung von theoretischen Inhalten mit praktischer Anwendung - am zielführendsten. Ein fachlicher "Mentor" in der Kanzlei kann einem Mitarbeiter, der in der Ausbildung ist, ganz entscheidend helfen, indem er mit ihm nach jedem theoretischen Ausbildungsschritt die Dinge praktisch im Alltag zeigt.

Ein weiterer Tipp ist, dass in der Kanzlei vor dem Besuch eines Seminars sichergestellt sein sollte, dass alle Mitarbeiter Bescheid wissen, wer welches Seminar besucht. So können mögliche Fragen dem Teilnehmer zur Klärung mitgegeben werden.

Nach jedem Seminar sollte das Wissen in Kurzvorträgen in der Kanzlei weitergegeben werden. Viele Kanzleien haben schon ein sogenanntes Fach-Jour-Fixe.

Stefan Lami: Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Worin siehst Du den Reiz in der Aufgabe als Geschäftsführer der Akademie der Wirtschaftstreuhänder?

Gerhard Stangl: Mir gefällt vor allem die enorme Bereitschaft des Berufsstandes an Fortbildung. Ich finde diesen Umstand faszinierend. Er ist in anderen freien Berufen bei weitem nicht so stark ausgeprägt. Steuerberater sind flexibel im Aufnehmen neuer Ideen, und die Herausforderung in der Zukunft liegt darin, die Steuerberater darin zu unterstützen, dass sie mehr und mehr zum Unternehmensführer werden. Damit meine ich den Trend, dass Steuerberater sich noch viel mehr um Vision, Strategie, Mitarbeiterführung etc. kümmern werden bzw. müssen.

Stefan Lami: Danke für das Gespräch und alles Gute für die Zukunft.