Nur jede fünfte österreichische Steuerberatungskanzlei verfügt über ein schriftliches Strategiekonzept (so das Ergebnis der Befragung der Kammer der Steuerberater:innen und Wirtschaftsprüfer:innen im März 2007). Meine Einschätzung ist, dass die Situation in Deutschland ähnlich ist. Nur die wenigsten Steuerberater haben ihre zukünftige Marktposition, ihre Unterscheidungsmerkmale, ihre zukünftigen Zielklienten, ihre strategischen Erfolgsfaktoren etc. schriftlich festgehalten.

Und? Was ist das Problem?

Ist eine häufige Reaktion, wenn ich mit Kollegen über diese Tatsache spreche. Der Steuerberatungsmarkt ist relativ stabil. Die Wachstumsraten sind nicht berauschend, aber immerhin deutlich über anderen Branchen. Die Gesetzgebung sorgt für kontinuierlichen Auftragseingang. Die meisten Steuerberater sind froh, wenn Sie termingerecht die Aufträge abwickeln und die größte Herausforderung besteht ja lediglich darin, qualifizierte Mitarbeiter zu finden.

Ja, das ist eine Seite der Medaille und auch der Grund, warum Steuerberater zu Silvester eine Extra-Sektflasche köpfen können. In jener Sekunde, in der am 31.12. die Uhr von 24:00 auf 00:01 umspringt, kann jeder Steuerberater schon ca. 90 – 95 % des letztjährigen Umsatzes in seine Auftragsbücher schreiben. Warum sich also mit strategischen Fragen beschäftigen?

Die zweite Seite der Medaille

Der Steuerberater wird immer mehr als umfassender Berater des Unternehmers wahrgenommen, was ja auch das Ziel vieler Steuerberater ist. Der derzeitige Anspruch ist, nicht nur die Vergangenheit (in steuerlicher Hinsicht) gut zu dokumentieren, sondern auch erster Ansprechpartner für unternehmerische Entscheidungen zu sein. Also, als kompetenter Partner für strategische Fragen des Unternehmers aufzutreten. So gesehen, trifft die Aussage „Strategie leidet Not“ genauso zu wie das bekannte „Handwerk leidet Not“: Dem Steuerberater gelingt es leider genauso wenig, in der eigenen Kanzlei seine Kompetenzen einzusetzen, wie es Handwerker verabsäumen, ihre handwerklichen Fähigkeiten im eigenen Haus zu realisieren. Von welcher Glaubwürdigkeit im Hinblick auf betriebswirtschaftliche Beratung darf der Berufsstand reden, wenn nur ein Bruchteil der Kollegen in der eigenen Kanzlei das tut und vorlebt, was er Klienten empfiehlt?

Kein Schönreden der Marktentwicklungen

Auf der zweiten Seite der Medaille steht auch die kritische Analyse der Marktentwicklungen. Die Zeiten nahezu automatischer Umsatz- und Gewinnsteigerungen sind längst vorbei. Der Steuerberatungsmarkt ist zu einem Verdrängungsmarkt geworden. Die Zahl der Unternehmensneugründungen hält sich die Waage mit Verkäufen, Übernahmen durch Konzerne, Schließungen, Betriebsaufgaben in Folge von Pensionierung etc. Der Trend zu größeren Kanzleien ist auch offensichtlich. Mittlere Kanzleien geraten in die Schere zwischen den kleinen spezialisierten Kanzleien und den Großkanzleien. Klienten sind preissensibler geworden. Neue Aufträge gewinnt man meist nur durch Angebote.

Diese Marktentwicklung ist am Gewinn der Kanzleien zu spüren; in vielen Fällen wird diese Entwicklung nur durch höheren Einsatz (des Inhabers bzw. der Partner) wieder wettgemacht. Gewinn halten durch mehr Arbeiten ist die Konsequenz … und das kann keine dauerhaft erfolgreiche Strategie sein!

Wer schreibt, der bleibt …

… ist ein Sprichwort, das immer wieder verwendet wird. Meist im Zusammenhang mit den Belegaufzeichnungen.

Die noch viel größere Bedeutung hat dieses Sprichwort jedoch mit der Zielerreichung. Schriftlich formulierte Ziele haben eine größere Erreichungswahrscheinlichkeit. Schriftlichkeit zwingt zu Klarheit. Schriftlichkeit schafft mehr Verbindlichkeit und „Komm-mit-ment“.

All das spricht für ein schriftliches Strategiekonzept, einen strategischen Plan, ein Strategiepapier oder wie auch immer Sie es nennen mögen. Die Form ist nicht wesentlich. Worauf es ankommt, ist Klarheit über die zukünftige – attraktive – Kanzleientwicklung. Welche Klienten? Welche Leistungen? Welche Mitarbeiter? Welche Preise? Welche Unterscheidungsmerkmale? Welche Organisations- und Führungsstruktur? Und wie vorgehen?

Mitarbeiter für Ziele gewinnen!

Niemand widerspricht der Aussage, dass für die Realisierung von strategischen Zielen, die Mitarbeiter eine, wenn nicht die, entscheidende Rolle spielen. Ausgezeichnete Kommunikatoren und echte Leader schaffen es auch ohne schriftliches Konzept, andere Menschen für ihre Ziele zu gewinnen. Die wirklichen Profis, die auf Grund ihrer enormen kommunikativen Fähigkeiten Mitarbeiter mitreißen können, verzichten jedoch trotzdem nicht auf die Wirkung der Schriftlichkeit.

Kein Kommunikationsgenie zu sein und auf Schriftlichkeit zu verzichten, bedeutet daher – bitte verzeihen Sie – dilettantisch vorzugehen.

Warum Strategie mit einer Diät verglichen werden kann

Durch das Vorliegen eines Strategiekonzeptes alleine geschieht noch gar nichts. Jegliche Erwartung auf dieser Grundlage wäre vollständig überzogen. Die Realisierung einer Strategie hat sehr viele Gemeinsamkeiten mit dem Durchhalten einer Diät. Darüber habe ich schon ausführlich in „Strategie und Diät“ geschrieben.

Betonen möchte ich, dass jede Diät – wie auch jede Strategie – funktioniert. Wenn man sie durchhält. Daher ist es bei der Entscheidung für eine Strategie wichtig, dass man bereit ist, sie auch tatsächlich durchzuziehen. Falls dem nicht so ist, sollte man sich nichts vormachen und nicht so tun als ob. Damit erzeugt man lediglich Frustration auf allen Seiten.

Lassen Sie die Sektkorken knallen!

Ich meine, es gibt vor allem einen Grund, die Sektkorken knallen zu lassen: Nämlich dann, wenn Sie sich große Ziele gesetzt haben (z.B. in Form eines Strategieplans), und Sie am Jahresende zurückblicken und zu sich sagen können: „Wir haben unsere hohen Ziele erreicht! Auf zu neuen Zielen!“

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg dabei!

Interesse an den Ergebnissen des Strategie-Coachings? Österreichische Steuerberater finden den Ergebnisbericht im geschlossenen Benutzerkreis www.ksw.or.at. Deutschen Kollegen schicke ich gerne den Ergebnisbericht.